Mit ‚Das Nest‘ von Franz Xaver Kroetz zeigt das Theater im Gärtnerviertel (TiG) ein eindringliches Volksstück über Anpassung, Moral und die Frage, wie viel Sicherheit sich ein Mensch überhaupt leisten kann.
Die Inszenierung von Nina Lorenz, die aktuell im ERTL Shopping Center zu sehen ist, setzt auf eine reduzierte, aber eindrucksvolle Bildsprache und überzeugt mit zwei herausragenden Hauptdarstellern.
Ein Leben nach Plan – bis es nicht mehr aufgeht
Martha (Aline Joers) und Kurt (Valentin Bartzsch) sind ein durchschnittliches Ehepaar aus Oberbayern. Sie erwarten ihr erstes Kind und haben alles durchkalkuliert – bis hinters Komma. Kurt ist als fleißiger Arbeiter Chefs Liebling, und Martha plant, mit Heimarbeit die Finanzen aufzubessern. Doch als sich Kurt in eine moralische Zwickmühle begibt, gerät das durchdachte Konzept ins Wanken. Kroetz stellt nicht nur die Frage, wie ein sicheres Leben aussehen könnte, sondern auch, ob man sich Umweltbewusstsein und moralische Integrität überhaupt leisten kann. Ist es gerechtfertigt, die eigenen Werte zu verraten, wenn der Preis zu hoch wird?
Kurt: „Wie weit tät das denn gehen, bis da drin einmal etwas nein sagt?“
Franz Xaver Kroetz: Provokateur und Volksstück-Dichter
Franz Xaver Kroetz, geboren 1946 in München, zählt zu den bedeutendsten deutschen Dramatikern der Nachkriegszeit. Bekannt für seine sozialkritischen Volksstücke, hält er der Gesellschaft mit einfachen, aber schonungslos ehrlichen Dialogen den Spiegel vor. Seine Karriere begann als Schauspieler, unter anderem am Büchner-Theater in München, doch seine wahre Leidenschaft galt dem Schreiben. Mit Stücken wie ‚Das Nest‘ oder ‚Mensch Meier‘ machte er sich schnell einen Namen. Dabei prangerte er vor allem das Spießbürgertum, soziale Ungleichheit und die Anpassung an gesellschaftliche Normen an. Neben seiner Arbeit als Dramatiker wurde Kroetz auch als Schauspieler populär, insbesondere durch seine Rolle als Klatschreporter Baby Schimmerlos in der Kultserie ‚Kir Royal‘. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem ersten Mülheimer Dramatikerpreis für ‚Das Nest‘ im Jahr 1976.
Valentin Bartzsch brilliert als innerlich zerrissener Kurt
Valentin Bartzsch gibt dem Durchschnittsarbeiter Kurt mit einem überzeichneten und stellenweise humorösen, aber nie plakativen Mienenspiel seine Tiefe. Sein Gesicht spiegelt das Innenleben eines Mannes wider, der sich selbst als guten Menschen sieht, aber dennoch immer weiter in ein moralisches Dilemma gerät. Die Zuschauer erleben hautnah seine Zerrissenheit zwischen Pflichtbewusstsein, Anpassungsdruck und Selbstachtung. Aline Joers als Martha überzeugt mit ruhiger, fast stoischer Stärke. Für sie steht die Familie an erster Stelle – ebenso wie die gesellschaftliche Fassade. Ihre Martha kämpft weniger mit sich selbst, sondern mit den äußeren Umständen. Sie hält an ihrer Vorstellung von Glück fest, egal welche Kompromisse sie eingehen muss.
Martha: „Jetzt wird zuerst an das Kind gedacht.“
Minimalistische Inszenierung mit großer Wirkung
Regisseurin Nina Lorenz setzt in ihrer Inszenierung auf eine reduzierte, aber präzise Bildsprache. Das Bühnenbild von Denise Leisentritt unterstreicht die Enge, in der sich die Figuren bewegen – nicht nur räumlich, sondern auch gesellschaftlich. Das Wohnzimmer als zentrales Element wird zum Sinnbild für das angestrebte perfekte ‚Nest‘. Ein besonderes Element ist die musikalische Untermalung durch Jakob Fischer, der mit melancholischen Klavierklängen die Emotionen verstärkt. Darüber hinaus werden Geräusche – wie lautes Atmen – gezielt eingesetzt, um innere Konflikte spürbar zu machen und dem Publikum Raum für eigene Assoziationen zu lassen.
Weitere Vorstellungen und Ticketinfos
Wer ‚Das Nest‘ in Bamberg live erleben möchte, hat an mehreren Terminen die Gelegenheit dazu. Die Vorstellungen finden im ERTL Shopping Center (2. Obergeschoss, Eingang Biegenhofstraße) statt. Karten sind im Vorverkauf bei Betten Friedrich oder beim BVD sowie an der Abendkasse erhältlich.
- Termine: 22.02, 27.02, 28.02, 1.03, 13.03, 14.03, 15.03, 18.03, 20.03.
- Wichtiger Hinweis: Die Vorstellung am 7. März entfällt.
- Tickets:
- Vorverkauf: 27 € (ermäßigt: 16 € für Studierende & Schüler)
- Abendkasse: 28 € (ermäßigt: 17 €)
Ein nachhallendes Stück über Verantwortung und Mitläufertum
‚Das Nest‘ ist mehr als ein Sozialdrama über den kleinen Mann. Es ist eine bohrende Auseinandersetzung mit dem Spießbürgertum, Umweltbewusstsein und der Gegensätzlichkeit von Anpassung und Freiheit. Die Inszenierung des TiG gelingt auf ganzer Linie: atmosphärisch dicht, schauspielerisch stark und mit einem Hauch von Tragik. Wer sich auf intensive, gesellschaftskritische Theaterabende mit humorvollen Einschlägen einlassen möchte, sollte sich dieses Stück nicht entgehen lassen.