Nahezu vier Jahrzehnte nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl haben sich Bürgerinnen und Bürger in Bamberg zu einer eindrucksvollen Gedenkveranstaltung versammelt, die deutlich mehr war als ein stilles Erinnern.
Am Landesgartenschauweg am Regnitzufer, wo das Mahnmal ‚Schildkröte‘ steht, wurde ein Zeichen gegen das Vergessen und für den entschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft gesetzt. Initiatorin war die Landtagsabgeordnete Ursula Sowa (Grüne).
Atomkraft: Eine nie endende Verantwortung
Ursula Sowa eröffnete die Veranstaltung mit einer klaren Botschaft: Die Risiken der Atomkraft sind auch nach dem Ausstieg nicht gebannt. Die Katastrophe von Tschernobyl stehe für die Unkontrollierbarkeit einer Technologie, deren Folgen die Menschheit noch über viele Generationen hinweg beschäftigen werden. Sowa erinnerte an die Verantwortung, die mit der Nutzung dieser Energieform einhergeht – und an die Notwendigkeit, sich dieser dauerhaft zu stellen.
Junge Generation fordert entschlossene Energiewende
Jonas Langlotz, Sprecher der Grünen Jugend Bamberg, brachte die Perspektive der jüngeren Generation ein. Er berichtete von einem Besuch im Atommüll-Zwischenlager in Grafenrheinfeld und forderte eine konsequente Energiewende: „Nur mit einem klaren Bekenntnis zu erneuerbaren Energien können wir verhindern, dass sich solchen Katastrophen wiederholen.“
Mahnende Worte und bleibende Verantwortung
Auch Luis Reithmeier, Sprecher von Grünes Bamberg, appellierte an die Versammelten, nicht nachzulassen: „Wir dürfen nicht wie eine Schildkröte auf dem Rücken liegen – wir müssen aktiv bleiben.“ Mit diesen Worten verdeutlichte er, dass der Kampf gegen Atomkraft nicht mit dem Abschalten der letzten Reaktoren endet, sondern sich auch auf Zwischenlager, Forschung und internationale Entwicklungen bezieht.
Die ‚Schildkröte‘ – ein stilles Symbol mit großer Kraft
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das Mahnmal ‚Schildkröte‘, ein Kunstwerk des südkoreanischen Künstlers Jin Mo Kang, initiiert von Udo Benker-Wienands. Die aus einem Granitsteinblock gefertigte Skulptur erinnert an die Langsamkeit und Wehrlosigkeit der Natur gegenüber atomarer Verseuchung. Benker-Wienands mahnte: „330 Jahre müssten wir leben, um die Caesium-Spuren in Oberfranken vollständig verschwinden zu sehen, bei dem freigesetzten Plutonium dauert es allein 24.000 Jahre bis sich die Dosis halbiert hat.“ Diese Zahlen seien Mahnung genug, so der Künstler: „Setzt man also die Endlagerzeiten in Verhältnis zur menschlichen Evolution ist es blanker Wahnsinn Atomkraft nutzen zu wollen“.
Persönliche Erinnerung an den Tag der Katastrophe
Besonders eindrucksvoll war der Beitrag von Babs Günther, Sprecherin des Anti-Atomkraft-Bündnisses Schweinfurt. Sie schilderte, wie sie 1986 als junge Mutter vom Reaktorunfall erfuhr – zwei Tage nach der Explosion in Tschernobyl: „Die Bedrohung war unsichtbar, aber allgegenwärtig.“ Trotz des Atomausstiegs sei die Gefahr nicht gebannt: Brennstäbe, Forschungsreaktoren, klimabedingte Risiken wie Hochwasser, geopolitische Spannungen und neue Waffentechnologien müssten dringend in ein neues Zwischenlagerkonzept einfließen.
1450 Kraniche als Zeichen der Hoffnung
Ein besonders berührendes Bild hinterließ die Aktion der Künstlerin Lucie Kazda aus Bayreuth: 1450 gefaltete Kraniche aus Papier, zu einer Kette verbunden, symbolisierten Frieden und Hoffnung. Die Kranich-Kette wurde Ursula Sowa überreicht – als Anerkennung für ihr Engagement gegen das Vergessen. Auch die Bamberger Künstlerin Judith Siedersberger trug zur Aktion bei: Mit Buttons und Aufnähern, versehen mit starken Symbolen, lud sie zum Dialog ein – ‚Gesprächsstarter am Shirt‘, wie sie es nannte.
Erinnerung ist kein Rückblick, sondern Auftrag
Die Gedenkveranstaltung in Bamberg war mehr als ein stilles Innehalten. Sie war ein deutlicher Appell: gegen Gleichgültigkeit, gegen kurzsichtige Energiepolitik – und für eine Zukunft, in der Verantwortung, Nachhaltigkeit und Friedenssicherung keine abstrakten Konzepte bleiben. Schildkröte und Kraniche mahnen eindrucksvoll: Die Vergangenheit darf uns nicht lähmen, sondern muss uns zum Handeln bewegen.