In seiner Pfingstpredigt im Bamberger Dom hat Erzbischof Herwig Gössl die Bedeutung der Gottesfurcht ins Zentrum seiner Botschaft gestellt.
Dabei machte er klar: Gottesfurcht ist nicht mit Angst gleichzusetzen, sondern steht für eine Haltung tiefster Ehrfurcht und Demut vor der unermesslichen Liebe und Größe Gottes. Gössl verwies in seiner Ansprache auf das Märchen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ und stellte klar: „Echte Gottesfurcht ist kein Zeichen von Schwäche.“ Vielmehr zeige sich in ihr eine spirituelle Stärke, die aus dem Erleben göttlicher Liebe hervorgehe. „Je tiefer und unverdienter die Liebe ist, die ich erfahre, umso mehr Ehrfurcht empfinde ich“, erklärte der Erzbischof.
Warnung vor wachsender religiöser Gleichgültigkeit
Sorge äußerte Gössl über eine zunehmende religiöse Gleichgültigkeit in der Gesellschaft. Diese Entwicklung habe nicht etwa zu mehr Freiheit geführt, sondern lasse viele Menschen orientierungslos und verletzlich zurück. In seiner Predigt sagte er eindringlich: „Wer die Ehrfurcht vor Gott verliert, der fürchtet sich bald vor allem und jedem.“ Die Folge könne ein gefährlicher Kreislauf sein: Angst, Gewaltbereitschaft und Anfälligkeit für autoritäre Ideologien. Ohne ein festes Fundament in Glauben und Demut liefen Menschen Gefahr, sich von destruktiven Kräften verführen zu lassen.
Die Gabe der Gottesfurcht neu entdecken
Gottesfurcht gehört zu den sieben Gaben des Heiligen Geistes – doch werde sie heute oft übersehen oder missverstanden, so Gössl. Dabei sei gerade diese Gabe essenziell, um Gottes Liebe in ihrer Tiefe zu begreifen. Aus dieser Erkenntnis wachse eine Lebenshaltung, die geprägt sei von Verantwortung, Respekt und Mitgefühl – gegenüber anderen Menschen, dem Leben selbst und der gesamten Schöpfung. Gössl betonte: Wer in Ehrfurcht vor Gott lebe, entwickle eine innere Kraft, die dem Leben Orientierung und Halt gebe. Diese Haltung schaffe die Grundlage für ein friedliches und aufrichtiges Miteinander in Familie, Gesellschaft und Kirche.
Auftrag zur Weitergabe der Liebe Gottes
Zum Ende seiner Predigt rief der Erzbischof die Gläubigen dazu auf, sich ihrer christlichen Sendung erneut bewusst zu werden. „Wir sind gesandt, den Menschen die Ehrfurcht vor Gott zu vermitteln“, sagte Gössl – und das geschehe am glaubwürdigsten durch gelebte Liebe. Die Botschaft, die heute mehr denn je gebraucht werde, sei schlicht und kraftvoll: „Ich bin unendlich geliebt.“ Aus dieser unverrückbaren Wahrheit erwachse eine neue Perspektive auf das eigene Leben und das Miteinander in der Welt. Der christliche Glaube solle nicht belehren, sondern ermutigen und befreien – indem er zeigt, dass jeder Mensch bedingungslos von Gott angenommen ist.
Eine Einladung zu neuem geistlichen Bewusstsein
Die Worte von Erzbischof Gössl zum Pfingstfest sind mehr als eine Mahnung – sie sind eine Einladung zur inneren Umkehr. In einer Zeit voller Unsicherheiten und Zerstreuung ruft er dazu auf, den Blick neu auf das Wesentliche zu richten: die Liebe Gottes und die ehrfürchtige Haltung des Herzens, die daraus entsteht. Die Gottesfurcht, wie Gössl sie versteht, ist ein Weg zu mehr Frieden, Klarheit und innerer Stärke. Sie stellt nicht das Fürchten in den Mittelpunkt, sondern das Vertrauen – ein Vertrauen, das in der unerschütterlichen Liebe Gottes seinen Ursprung hat und das Fundament für ein Leben in Achtung, Verantwortung und Hoffnung bildet.