Als Tobias Kolb im Herbst eine unscheinbare E-Mail öffnet, rechnet der 28-jährige Notfallsanitäter aus Bamberg mit allem – nur nicht damit, plötzlich zum potenziellen Lebensretter zu werden.
Die Nachricht stammt von der Stiftung Aktion Knochenmarkspende Bayern (AKB): Tobias sei als möglicher Stammzellspender in die engere Wahl gekommen. Die Überraschung ist groß, denn seine Registrierung liegt Jahre zurück. 2016, damals noch FSJler im Fahrdienst in Deggendorf, machte er gemeinsam mit Freunden spontan bei einer DKMS-Aktion mit. Der Gedanke war simpel und pragmatisch: „Ist doch eine coole Sache.“ Doch wie bei so vielen Menschen geriet die Registrierung in Vergessenheit – bis zu diesem Moment. Tobias zögert keine Sekunde. Für ihn ist sofort klar: „Wenn es passt, bin ich dabei!“
Der Weg zur Entscheidung
Nach der ersten Kontaktaufnahme folgen medizinische Angaben, Fragebögen und eine Blutuntersuchung. Das Set dafür ist eigentlich für den Hausarzt bestimmt – doch ein Kollege auf der Rettungswache übernimmt die Blutentnahme kurzerhand selbst. Zweieinhalb Wochen später trifft der entscheidende Anruf ein: Tobias ist der beste Spender für einen schwerkranken Menschen. Wer dieser Mensch ist, bleibt geheim. Zwei Jahre lang dürfen Spender und Empfänger aus Schutzgründen keinen Kontakt aufnehmen. Für Tobias spielt das jedoch keine Rolle: „Das kann der Nachbar um die Ecke sein – oder jemand am anderen Ende der Welt.“
Vier Tage voller Nebenwirkungen – und Entschlossenheit
Bevor die eigentliche Spende beginnt, muss Tobias eine mehrtägige sogenannte Konditionierung durchlaufen. Vier Tage lang spritzt er sich körpereigene Hormone in den Bauch, damit seine Stammzellen vom Knochenmark ins Blut übergehen. Dieses Vorgehen ist wirksam – aber anstrengend. Tobias beschreibt die Phase als eine Art leichten Infekt mit intensiven Knochenschmerzen in Rücken, Schultern und Becken. Dennoch bleibt er fokussiert: „Aber mit Schmerztabletten war es okay. Nach eineinhalb Tagen war alles vorbei.“
Drei Stunden Stillhalten – eine besondere Art von Geduld
Am 28. Oktober ist es so weit. Tobias fährt mit der S-Bahn zur Stammzellentnahme nach Gauting. Dort liegt er drei Stunden lang in einem Sessel, die Arme fixiert, ohne die Möglichkeit, sich zu bewegen oder das Handy zu benutzen. Der einzige Begleiter: ein Film über Kopfhörer. Tobias entscheidet sich für ‚(T)Raumschiff Surprise‘ – eine Komödie, die ihm hilft, die ungewohnte Situation zu ertragen. Neben ihm sitzen weitere Spender. Tobias spürt in diesem Moment eine besondere Form der Verbundenheit: Solidarität, die selbst im Spendenraum spürbar ist.
Ein Gefühl, das bleibt
Als die Entnahme endet, fällt eine große Last von ihm ab. Tobias ist erschöpft – aber erfüllt. „Ich war stolz. Wirklich stolz, dass ich das für einen fremden Menschen getan habe.“ Gleichzeitig weiß er, wie dramatisch wichtig seine Entscheidung war: Sobald ein Patient auf eine Stammzellenspende vorbereitet wird, zerstört die aggressive Chemotherapie dessen eigenes Immunsystem. Wenn der Spender dann abspringt, bedeutet das für den Patienten den sicheren Tod. Diese Wahrheit macht Tobias still – aber auch sicher, das Richtige getan zu haben.
Getragen von einer starken Gemeinschaft
Eines berührt Tobias bis heute besonders: die Unterstützung seines gesamten Umfelds. Für die Spende musste er sieben volle Dienste ersetzen – ein fast unmögliches Unterfangen in einem zwei Monate im Voraus geplanten Dienstplan. Doch nach einer Mail seines Vorgesetzten an den Wachverteiler passiert etwas Beeindruckendes: 20 Kolleginnen und Kollegen – Haupt- und Ehrenamtliche, sogar Studierende – melden sich freiwillig, um Dienste zu übernehmen. Einer bot sogar an, seinen Urlaub abzubrechen. Tobias ist bewegt: „Mein ganzes Umfeld hat mir gezeigt, dass ich das Richtige tue.“
Eine Spende, die mehr verändert als ein Leben
Für Tobias ist klar: Er hat nicht nur einem anderen Menschen eine neue Chance gegeben. Die Erfahrung hat auch ihn selbst verändert. Sie zeigt ihm, wie viel Mut, Solidarität und Mitmenschlichkeit erreichen können. Und wie wichtig es ist, dass möglichst viele Menschen bereit sind, Stammzellen zu spenden. Tobias’ Botschaft ist daher eindeutig: „Man kann damit ein Leben retten. Und wer weiß: Vielleicht freut man sich eines Tages selber, dass es da draußen jemanden gibt, der einem helfen kann!“
So können auch Sie Stammzellenspender werden
1. Registrierung
Jede gesunde Person zwischen 17 und 45 Jahren kann sich registrieren lassen. Spenden ist bis zum 60. Lebensjahr möglich.
2. Kosten
Die Registrierung ist vollständig kostenlos.
3. Ablauf der Typisierung
Die Gewebeprobe wird über einen Wangenabstrich entnommen. Dabei werden Tupfer über die Innenseite der Wangen geführt, um Zellen der Mundschleimhaut zu sammeln.
4. Typisierungsaktionen in Bayern
Die Stiftung AKB organisiert regelmäßig Aktionen im gesamten Freistaat. Termine werden stetig aktualisiert.
5. Weitere Informationen
Mehr unter den offiziellen Webseiten von DKMS und AKB.
Wenn Menschlichkeit den Unterschied macht
Die Geschichte von Tobias Kolb zeigt eindrucksvoll, wie sehr eine einzelne Entscheidung das Leben eines anderen – und das eigene – verändern kann. Sie erinnert daran, dass Mut und Hilfsbereitschaft manchmal nicht laut, sondern still und entschlossen daherkommen. Und dass echte Menschlichkeit nicht in großen Gesten liegt, sondern in der Bereitschaft, für jemanden da zu sein, den man nicht kennt.















