Auch wenn die akute Phase der Corona-Pandemie längst vorbei ist, bleibt ihre gesellschaftliche Nachwirkung spürbar. Diskussionen über Maßnahmen, Impfstrategien und das staatliche Krisenmanagement reißen bis heute nicht ab.
Eine neue Studie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg wirft nun ein Schlaglicht auf einen bislang wenig untersuchten Aspekt: den Zusammenhang zwischen politischer Einstellung und Impfverhalten. Die Untersuchung von Dr. Alexander Patzina und Prof. Dr. Rasmus Hoffmann vom Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Soziale Ungleichheit, an der Universität Bamberg – gemeinsam mit Dr. Hans Dietrich vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sowie Michael Ruland vom Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) – zeigt deutlich, dass die politische Orientierung einen erheblichen Einfluss darauf hatte, ob sich Menschen gegen COVID-19 impfen ließen oder nicht.
Deutliche Impflücke zwischen AfD-Anhängern und anderen Wählergruppen
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht ein auffälliger Unterschied: Unterstützerinnen und Unterstützer der AfD ließen sich im Schnitt 28 Prozentpunkte seltener gegen das Coronavirus impfen als Wählerinnen und Wähler anderer Parteien. Dieses Ergebnis bleibt auch dann bestehen, wenn Faktoren wie Alter, Bildung, Einkommen oder die persönliche Belastung durch die Pandemie berücksichtigt werden.
Das Forschungsteam fand heraus, dass nicht soziale Merkmale, sondern politische Einstellungen entscheidend für die Impfbereitschaft waren. Besonders ausschlaggebend waren dabei die Wahrnehmung der Pandemie als Bedrohung für persönliche Freiheit sowie das Gefühl, politisch nicht vertreten zu sein. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die politische Stimmung vor einer Pandemie Einfluss darauf haben kann, wie Menschen auf zentrale Gesundheitsmaßnahmen reagieren“, erklärt Rasmus Hoffmann. Wer glaube, staatliche Maßnahmen gefährdeten die eigene Freiheit, sei oft kaum durch Appelle an Eigenverantwortung zu erreichen, ergänzt Alexander Patzina.
Zwischen Vertrauen und Widerstand: Ein gesellschaftliches Dilemma
Die Bamberger Forscher beschreiben ein Dilemma, das Regierungen in Krisensituationen vor große Herausforderungen stellt. Freiwilligkeit stößt an ihre Grenzen, wenn Menschen grundlegendes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen empfinden. Gleichzeitig können verpflichtende Maßnahmen wie Impfpflichten den Widerstand weiter verstärken und gesellschaftliche Spaltungen vertiefen. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen: Impfentscheidungen sind nicht allein medizinische oder rationale Fragen, sondern eng mit sozialem Vertrauen, politischer Wahrnehmung und Identität verknüpft. Wer sich von der Politik entfremdet fühlt, reagiert skeptischer auf Empfehlungen ‚von oben‘ – selbst dann, wenn diese wissenschaftlich fundiert sind.
Relevanz über die Pandemie hinaus
Das Forschungsteam betont, dass die Erkenntnisse weit über die Corona-Pandemie hinausweisen. Politische und gesellschaftliche Einstellungen könnten auch zukünftige Impfkampagnen beeinflussen – etwa gegen Grippe, neue Virusvarianten oder andere Infektionskrankheiten. Damit rückt ein zentraler Punkt in den Vordergrund: Es reicht nicht, Menschen nur über medizinische Fakten zu informieren. Ebenso wichtig ist es, gesellschaftliche Dialoge zu fördern und Vertrauen in politische Institutionen aufzubauen.
Politische Kommunikation als Schlüssel
Aus den Ergebnissen ergibt sich eine klare Botschaft: Gesundheitskommunikation muss politisch sensibel sein. Wenn Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben, ihre Sorgen und Ansichten würden ignoriert, sinkt die Bereitschaft, öffentliche Maßnahmen mitzutragen. „Politische Kommunikation, gesellschaftlicher Dialog und das Gefühl, gehört zu werden, sind entscheidend für die Akzeptanz von Gesundheitsmaßnahmen“, betont Alexander Patzina. Erfolgreiche Präventionspolitik brauche daher Vertrauensarbeit und transparente Kommunikation – insbesondere in Zeiten, in denen Desinformation und Polarisierung über soziale Medien weiter zunehmen.
Wissenschaftliche Grundlage der Studie
Die Studie basiert auf einer repräsentativen Befragung von 7.762 Personen, die zwischen März und Oktober 2021 vom Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) durchgeführt wurde. Monatlich wurden Einstellungen, Erfahrungen und Meinungen erfasst – von der Impfbereitschaft über persönliche Pandemielasten bis hin zum Vertrauen in Politik und Gesellschaft. Die Ergebnisse sind nun unter dem Titel ‚Populist party support and COVID-19 vaccination: Explaining the AfD vaccination gap‘ in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (online first, 2025) veröffentlicht worden. Publikation bei SpringerLink ansehen
Vertrauen als Voraussetzung für Gesundheitspolitik
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Information allein nicht überzeugt. Menschen entscheiden nicht nur auf Basis von Wissen, sondern auch auf Grundlage ihrer Werte, Identitäten und Emotionen. Wer sich gesellschaftlich abgehängt fühlt oder politische Entscheidungen als bevormundend empfindet, reagiert mit Ablehnung – auch gegenüber medizinischen Empfehlungen. Langfristig kann daher nur eine Politik erfolgreich sein, die Vertrauen stärkt, Transparenz bietet und Dialog fördert. Gesundheitsmaßnahmen müssen verständlich kommuniziert, aber auch demokratisch legitimiert werden.
Gesundheit braucht Vertrauen
Die Ergebnisse der Bamberger Studie zeigen deutlich: Gesundheitspolitik ist mehr als die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse – sie ist ein Spiegel gesellschaftlicher Einstellungen. Wenn politische Überzeugungen darüber entscheiden, ob Menschen sich impfen lassen, dann wird deutlich, dass Vertrauen, Repräsentation und Kommunikation zentrale Säulen einer funktionierenden Gesundheitsgesellschaft sind. Nur wenn sich Menschen gehört und verstanden fühlen, kann Prävention erfolgreich sein – in der Pandemie ebenso wie in Zukunft.















