Große Weihnachtseinkäufe, Spielzeug für Kinder und festliche Geschenke sind keine Erfindung der Moderne.
Neue Forschungsergebnisse der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und des Institute of Historical Research der University of London zeigen, dass bereits im Spätmittelalter eine überraschend lebendige Konsumkultur existierte. Grundlage der Erkenntnisse sind Londoner Zollregister aus den Jahren 1380 bis 1560, die erstmals systematisch digitalisiert und ausgewertet wurden.
Mittelalterlicher Konsum: Mehr als nur das Notwendige
Die Auswertung der historischen Quellen macht deutlich, dass Menschen im mittelalterlichen London weit über das bloße Existenzminimum hinaus konsumierten. Spielzeug, Schmuck, religiöse Devotionalien sowie Obst, Gewürze und festliche Waren wurden in großen Mengen importiert – häufig gezielt für die Weihnachtszeit. Besonders die Monate November und Dezember weisen eine erhöhte Dichte an entsprechenden Einträgen auf.
Zollregister als Fenster in den Alltag
Im Zentrum der Forschung steht das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Arts and Humanities Research Council (AHRC) geförderte Projekt ‚Unlocking Upcycled Medieval Data: London Customs Accounts 1380 to 1560‘. Mithilfe digitaler Methoden werden mehrere Jahrhunderte von Zollaufzeichnungen in einen umfassenden, durchsuchbaren Datensatz überführt. Dieser eröffnet neue Möglichkeiten, mittelalterlichen Handel, Konsumgewohnheiten und Alltagsleben detailliert zu erforschen. „Wir verwandeln mittelalterliche Zollregister in Fenster zur Alltagskultur Europas“, erklärt Prof. Dr. Werner Scheltjens, Professor für Digitale Geschichtswissenschaften an der Universität Bamberg. Der innovative Ansatz liest die Quellen nicht nur wirtschaftshistorisch, sondern auch kulturhistorisch und macht so die Verbreitung von Geschmäckern und Konsumpraktiken über Ländergrenzen hinweg sichtbar.
Spielzeug, Schmuck und festliche Waren zu Weihnachten
Besonders aufschlussreich sind die Einträge zu Weihnachtsgeschenken. Dokumentiert sind unter anderem Kinderrasseln, Puppen, Spielbretter, Würfel, Tennisbälle sowie religiöse Gegenstände wie Rosenkränze und Agnus-Dei-Schmuck. Ein Zollregister verzeichnet sogar eine Lieferung von 14 Dutzend Jesusfiguren. Hinzu kommen große Mengen an Obst, Gewürzen, Schmuckstücken und feinen Lederhandschuhen. „Die Menge an Spielzeug, Schmuckstücken, Obst und festlichen Leckereien, die jeden Winter importiert wurden, zeigt, dass mittelalterliche Menschen eine lebendige Konsumkultur mit erschwinglichen Waren genossen“, sagt Dr. Justin Colson von der University of London. Die Ergebnisse widersprechen damit dem lange vorherrschenden Bild eines kargen und entbehrungsreichen mittelalterlichen Alltags.
Seltene Einblicke in verlorene Alltagswelten
Viele der in den Zollaufzeichnungen genannten Gegenstände sind heute nicht mehr erhalten. Günstige und kurzlebige Waren überdauerten selten die Jahrhunderte und fehlen daher oft in Museumssammlungen. Gerade deshalb sind die schriftlichen Quellen von besonderem Wert: Sie dokumentieren Alltagsbesitz, der sonst unsichtbar geblieben wäre. „Die Verknüpfung der seltenen Museumsobjekte mit diesem wesentlich größeren Datensatz ermöglicht es uns, besser zu verstehen, wie weit verbreitet die Waren einst waren“, erläutert Meriel Jeater, Kuratorin am London Museum und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Projekts.
Spielen im Mittelalter: Neue Perspektiven auf die Kindheit
Ein besonderer Fokus der Forschung liegt auf dem mittelalterlichen Spielzeug. Die Bandbreite reicht von Tonfiguren aus den heutigen Benelux-Ländern über filigrane Metallrasseln bis hin zu großen Lieferungen von Tennisbällen. Diese Funde eröffnen neue Perspektiven auf das Kindesalter im Mittelalter und zeigen, dass Spielen ein selbstverständlicher Teil des Alltags war. Hazel Forsyth, Senior Curator am London Museum, betont: „Die Zollaufzeichnungen bestätigen, dass Spielzeug in großen Mengen hergestellt und sowohl lokal als auch über den internationalen Handel weit verbreitet war.“
London als europäisches Handelszentrum
Die Herkunft der importierten Waren – unter anderem aus Antwerpen, Venedig, Barcelona, Sevilla, Lissabon und dem Ostseeraum – unterstreicht Londons Rolle als bedeutendes Handelszentrum Europas. Die neuen Forschungsergebnisse zeigen eindrucksvoll, wie eng Europa bereits im Mittelalter wirtschaftlich und kulturell verflochten war.
Ein neuer Blick auf das mittelalterliche Weihnachtsfest
Die Forschungsergebnisse aus Bamberg und London zeichnen ein überraschend lebendiges Bild des mittelalterlichen Alltags und rücken die Menschen mit ihren Wünschen, Gewohnheiten und Festtraditionen in den Mittelpunkt. Weihnachten erscheint dabei nicht als stilles, entbehrungsreiches Ereignis, sondern als Anlass für Austausch, Konsum und gemeinsames Erleben. Durch die digitale Erschließung der Zollregister werden vergangene Lebenswelten neu greifbar – und zeigen, wie vertraut uns viele Aspekte mittelalterlicher Festkultur bis heute sind.
Leah
Als Bambergerin mit Leib und Seele ist Leah unsere Redakteurin für das lokale Geschehen. Sie kennt die Stadt wie ihre Westentasche und weiß ganz genau, wo der Hase wirklich läuft.
Kein Stadtgespräch mehr verpassen!
Wir halten Dich auf dem Laufenden! Hinterlasse uns einfach Deine E-Mail-Adresse und Du bekommst das aktuelle Stadtgespräch direkt in Dein Mail-Postfach.
Wir freuen uns, dass Du dabei bist!
Hier findest Du unsere Datenschutzhinweise. Deine E-Mail Adresse wird niemals an Dritte weitergegeben und ausschließlich zum Versenden des Newsletters genutzt.















