Ein neues Forschungsprojekt nimmt die koloniale Vergangenheit deutscher Sammlungen in den Blick.
Gemeinsam untersuchen die Bayerische Akademie der Wissenschaften, das Museum Fünf Kontinente in München und die Otto-Friedrich-Universität Bamberg die Herkunft der Objekte aus der Sammlung Heinrich Rothdauscher (1851–1937). Das Vorhaben trägt den Titel ‚Deutscher Kolonialismus auf den Philippinen. Die Sammlung von Heinrich Rothdauscher im Museum Fünf Kontinente in München‘ und wird vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert. Ziel ist es, koloniale Erwerbungsgeschichten offenzulegen und neue Maßstäbe für transparente Provenienzforschung zu setzen.
Die Sammlung Heinrich Rothdauscher – Zeugnis kolonialer Strukturen
Im Mittelpunkt steht die Sammlung des deutschen Apothekers Heinrich Rothdauscher, der von 1873 bis 1883 auf den Philippinen lebte. Er brachte 112 Objekte nach München, darunter Alltagsgegenstände, religiöse Artefakte und Objekte verschiedener ethnolinguistischer Gruppen (Igorot) aus der Cordillera Central im Norden der Insel Luzon. Mehrere dieser Objekte stehen im Verdacht, unter Anwendung von Zwang oder Gewalt erworben worden zu sein. Akademiepräsident Markus Schwaiger betont die historische Bedeutung: „Die Sammlung Rothdauscher erlaubt einen einzigartigen Blick auf die Mechanismen kolonialer Aneignung. Durch ihre Aufarbeitung schaffen wir Grundlagen für eine transparente und partnerschaftliche Provenienzforschung – im Austausch mit Beteiligten in den Herkunftsländern.“
Spuren kolonialer Aneignung
Rothdauschers Nachlass, bestehend aus Briefen, Fotografien, Skizzenbüchern und einer unveröffentlichten Autobiografie, dokumentiert eindrucksvoll die kolonialen Verflechtungen der damaligen Zeit. Viele Objekte gelangten in einem Umfeld von Herrschaft, Abhängigkeit und Gewalt in seinen Besitz. Ein Beispiel ist eine großformatige Holzfigur, die Rothdauscher als Geschenk eines spanischen Kolonialoffiziers erhielt, nachdem er bei der Gewinnung von Feingold geholfen hatte. Die Geschichte dieses Objekts verdeutlicht, wie eng deutsche und spanische Kolonialinteressen auf den Philippinen miteinander verflochten waren.
Wissenschaftliche Ziele und Methoden
Das Projektteam plant eine umfassende Aufarbeitung der Sammlung. Geplant sind:
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Erforschung der Provenienz sämtlicher Objekte
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Digitale Edition zentraler Quellen mit englischer Übersetzung
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Fotografische Dokumentation aller 112 Stücke
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3D-Scans ausgewählter Objekte
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Eine kritische Analyse der kolonialen Sammlungspraxis deutscher Akteure in Südostasien
Diese Arbeit soll ein differenziertes Verständnis dafür schaffen, wie wissenschaftliche, wirtschaftliche und koloniale Interessen im 19. Jahrhundert zusammenwirkten.
Digitale Technologien aus Bamberg
Ein wichtiger Beitrag kommt von der Universität Bamberg: Das Team der Digitalen Denkmaltechnologien am Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien (KDWT) unter Leitung von Prof. Dr. Mona Hess ist für die Digitalisierung ausgewählter Objekte zuständig. Mittels Photogrammetrie und Nahbereichsscannen werden die Stücke hochauflösend erfasst. So entstehen 3D-Modelle, die Forschenden und der Öffentlichkeit künftig neue Perspektiven auf die Objekte ermöglichen – sowohl im wissenschaftlichen als auch im musealen Kontext.
Kooperation mit den Herkunftsgesellschaften
Ein zentrales Anliegen des Projekts ist die Zusammenarbeit mit philippinischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Vertreterinnen und Vertretern der indigenen Herkunftsgesellschaften. Im Scientific Advisory Board wirken unter anderem Analyn Salvador-Amores (University of the Philippines Baguio), Ramon Guillermo (University of the Philippines Diliman) und Maria Cristina Martinez-Juan (SOAS, University of London) mit. Während eines Forschungsaufenthalts auf den Philippinen sollen im partizipativen Dialog unterschiedliche Wissenssysteme zusammengeführt und auf Augenhöhe weiterentwickelt werden.
Wissen teilen – weltweit zugänglich
Alle Ergebnisse des Projekts werden in englischer Sprache im Open Access veröffentlicht, um die Forschung weltweit zugänglich zu machen. Darüber hinaus sind mehrere Begleitformate geplant:
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eine Spring School für philippinische Nachwuchsforschende in München,
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eine öffentliche Abendveranstaltung im Museum Fünf Kontinente,
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sowie ein begleitender Podcast, der Einblicke in die Projektarbeit bietet.
Damit sollen die wissenschaftlichen Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit vermittelt und der Diskurs über koloniale Verantwortung in Deutschland vertieft werden.
Laufzeit und Förderung
Das Projekt läuft vom 1. Oktober 2025 bis 30. September 2026. Partner sind die Bayerische Akademie der Wissenschaften, das Museum Fünf Kontinente und die Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Gefördert wird das Vorhaben vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, das sich bundesweit für die Erforschung und Aufarbeitung von unrechtmäßig erworbenen Kulturgütern einsetzt.
Forschung mit Verantwortung
Das Projekt zur Sammlung Heinrich Rothdauscher steht exemplarisch für den Wandel in der Provenienzforschung: Weg von rein musealer Dokumentation, hin zu einem dialogorientierten, internationalen Austausch. München und Bamberg setzen damit ein deutliches Zeichen für transparente Aufarbeitung, wissenschaftliche Verantwortung und kulturelle Sensibilität im Umgang mit kolonialem Erbe.















