Es ist kalt an diesem Nachmittag in Bambergs St.-Getreu-Straße. Nicht nur, weil sich die Anwohner durch die geplante Sanierung seit Tagen um die damit verbundene finanzielle Belastung sorgen.
Von 1,75 Millionen Euro ist die Rede. Soviel soll die Sanierung, die als Ersterschließung behandelt wird, kosten. Neue Kanäle, neue Teerdecke, neue Anschlüsse. Nach Angaben der Stadt Bamberg würde auf die einzelnen Anwohner zwischen 90.000 und 150.000 Euro zukommen.
Das Fernsehen ist vor Ort
Grund genug für die betroffenen Bewohner der St.-Getreu-Straße an diesem Nachmittag auf die Straße zu gehen. Trotz der Kälte. Der Anlass ist aber kein stiller Protest, sondern der Umstand, dass sich Sat.1 Bayern angemeldet hat, um über den Fall und die Anwohner zu berichten.
Auch wir sind an diesem Nachmittag dabei. Weil wir noch einmal genauer hören möchten, wie sich die Nachbarn fühlen, was sie denken, was sie bewegt.
Wir treffen uns mit Thomas Hoffbauer. Er ist einer von 23 betroffenen Anwohner und hat sich in den letzten Tagen zu einem gewissen Dreh- und Angelpunkt des gemeinsamen Protests der Nachbarschaft entwickelt. „Wir halten zusammen“, erzählt er uns auf dem Weg ins Haus. Trotz der niederschmetternden Lage hat Hoffbauer den einen oder anderen Scherz auf Lager, wenn er über die Situation spricht.
Doch als wir mit ihm und seiner Frau am Esstisch der Familie Platz genommen haben, wird er im Gespräch immer wieder ernst. „Die meisten, die hier wohnen, haben ihre Häuser von Vorbesitzern gekauft. Da war hier ja schon alles erschlossen. Diejenigen, die dafür gezahlt haben, sind aber nicht mehr am Leben“, erzählt er. Ein unglücklicher Umstand, weil sich damit nur schwer nachweisen ließe, dass die Ersterschließung der Straße seiner Meinung nach schon längst gezahlt worden sei und damit als Grund für die Kostenbescheide ausfallen würde. Die Familie Schmidt, ein paar Häuser weiter, habe da aber vielleicht noch etwas in der Hand.
Diejenigen, die dafür gezahlt haben, sind aber nicht mehr am Leben.
Thomas Hoffbauer
„Da wohnen auch Rentner“
Dann blickt er aus dem Fenster hinaus auf die Straße, die der Grund für den ganzen Ärger ist. Er nickt kurz in Richtung der Häuser gegenüber. „Da wohnen auch Rentner. Für die wird es schwer werden einen Kredit zu bekommen, um die Kosten zu tragen.“ Er schürzt die Lippen und schüttelt den Kopf. Vieles findet er an der Situation unfair. Er zeigt mit dem Daumen über die Schulter hinaus in seinen Garten. Hinter seinem Grundstück sei vor Jahren gebaut worden. Die Erschließungskosten für die Anschlussstraße seien aber nicht von den Bauherren getragen worden. Die Stadt habe das Geld von ihm und einem Nachbarn gefordert. Damals habe er sich gerichtlich dagegen gewehrt, aber am Ende sei nur ein Teilerfolg dabei heraus gekommen. „Dabei haben wir von der Straße und den Anschlüssen gar nichts“, ergänzt seine Frau. „Die Anschlüsse gehen überhaupt nicht bis zu unserem Grundstück.“
Spekulationen über die plötzliche Eile
Hoffbauer wirft einen schnellen Blick auf sein Handydisplay. Bald beginnt der Termin mit dem Fernsehen. Die Redakteure des Senders haben wir schon auf unserem Weg zu seinem Haus gesehen. Dann lacht er kurz auf. „Es ist doch alles eine Mauschelei“, sagt er. Auf die Frage danach, warum er das so sehe, erzählt er von den für ihn naheliegenden Spekulationen für die plötzliche Eile der Stadtverwaltung bei der Sanierung der St.-Getreu-Straße. „Dieses Veruntreuungsargument haben die Minister Aiwanger und Huml ja schon ausgeräumt“, sagt er.
Er und seine Nachbarn können sich ganz andere Gründe dafür vorstellen, warum die Stadtverwaltung die Sanierung mit Blick auf die klamme Haushaltskasse unbedingt noch vor dem Stichtag in 2021 durchführen will, um sie den dort lebenden Familien in Rechnung stellen zu können.
ie St.-Getreu-Straße, erzählt Hoffbauer mit verschränkten Armen, habe ein Wasserproblem, dass durchaus von der Stadt mitverursacht würde. Durch die Hanglage würde viel Wasser die Straße hinunter gedrückt, wenn es regnet. Dafür gibt es an den Seiten der Straße entsprechende Kanäle, die von der Stadt aber nie sauber gemacht würden und die Wasserlast nicht abführen könnten. Einem Nachbarn sei dadurch schon einmal der Keller voll gelaufen. Weiter oben an der Straße habe die Stadt dann versucht Abhilfe zu schaffen. Dort habe es eine alte Treppe gegeben, die ebenfalls mit Abwasserrinnen ausgestattet gewesen sei. Die Stadt habe die Treppe abgerissen und durch eine geschotterte und abschüssige Rampe ersetzt, an deren Ende sie einen Abwasserschacht gesetzt habe. Der Schotter der Rampe würde aber bei starkem Wasseraufkommen jedesmal in den Schacht gedrückt und diesen verstopfen, so dass das Problem schlimmer sei als zuvor.
Stadt habe Zahlen schön gerechnet
„Und dann das Essen aus Stuttgart“, erzählt er weiter. Auf unsere fragenden Blicke, sagt er, dass er erfahren haben will, dass das Essen für die am Ende der Straße beheimatete Klinik und das Altenheim aus Stuttgart geliefert und in Spezial-LKWs täglich durch die Straße transportiert würde. „Aus Stuttgart.“ Er schmunzelt und hebt die Augenbrauen. „Zusammen mit dem Busverkehr belastet das die Straßenoberfläche natürlich sehr.“
Es ist kurz vor halb drei und wir machen uns auf zum Interview mit Sat1. Auf dem Weg treffen wir eine weitere Nachbarin. Sie und Hoffbauer begrüßen sich herzlich. Man merkt, dass die beiden sich schon häufig über die angespannte Situation unterhalten haben und der gemeinsame Protest zusammen schweißt. Hoffbauer zündet sich eine Zigarette an und zeigt im Halbkreis auf die Häuser. In der Nähe seines Hauses etwa steht das Bergschlösschen. „Die Summen, die hier für die einzelnen Bewohner publiziert wurden, stimmen so nicht“, sagt er dann. Es gäbe in der Straße große Grundstücke, deren Besitzer bis zu 250.000 Euro zahlen sollen. Die Stadt habe sich die Zahlen schön gerechnet, weil sie vor allem kleinere Grundstücke als Referenz für die Berechnung herangezogen habe.
Auf unserem Weg einige Häuser weiter die Straße hinunter, wo bereits das Auto der Fernsehredaktion steht, kommen uns regelmäßig Busse und Autos entgegen. Die Straße scheint durchaus viel genutzt zu werden.
In der Nähe des Sat.1-Fahrzeuges haben sich schon viele der betroffenen Nachbarn versammelt. Sie alle schütteln sich die Hände. Wir sehen Protestplakate an einem der Häuser hängen. Die Nachbarn haben ebenfalls Protestschilder dabei. „Nein zur Sanierung der St.-Getreu-Straße“, steht unter anderem darauf. Dass ihnen die Kälte zu schaffen macht, merkt man nicht. Trotz der teils düsteren Gesichter. Es sind Familienväter und -mütter die sich, teilweise mit ihren Kindern, hier versammelt haben. Die meisten unterhalten sich intensiv miteinander.
Aufs Kreuz gelegt
Hält man ein Ohr in die Menge, so ist der Ärger nicht nur spür-, sondern auch deutlich hörbar. Die Nachbarn fühlen sich von der Stadt in dieser Situation aufs Kreuz gelegt und im Stich gelassen. „Das war doch schon vor der Abstimmung alles ausgemachte Sache“, meinen einige. Sie hätten gehört, dass Druck auf diejenigen Stadträte ausgeübt worden sei, die eigentlich gegen die Sanierung hätten stimmen wollen.
Die geplante Sanierung, so andere, sei völlig überdimensioniert. Die Stadt wolle auf Kosten der Bürger nur den starken Begegnungsverkehr der Busse und Lieferfahrzeuge für Einrichtungen der Sozialstiftung besser organisieren. Und den Baufehler mit der Schotterrampe korrigieren, ergänzt Hoffbauer.
Außerdem sprechen die Straßenbewohner mit deutlicher Betroffenheit über den ihrer Meinung nach schlechten Umgang der Verwaltung mit ihnen als Betroffenen. Ein knappe Infoveranstaltung und eine zweistündige Beratung im Stadtrat gegen die Existenz von Familien und alten Menschen in dieser Straße. Niemand hier findet auch nur ansatzweise Verständnis dafür. Auch die Dame nicht, die beim Anblick der kleinen Versammlung das Auto mitten auf der Straße stehen lässt und sich für das Fernsehinterview mit den Protestlern solidarisiert.
All das werden sie später auch der Reporterin von Sat.1 Bayern erzählen, die den Ärger der Bürger über ihre Stadtverwaltung am Montag im Bayernteil bringen wird.
„Das einzige“, meint Hoffbauer schließlich, „was an dieser Sache ein bisschen positiv ist, ist dass wir uns als Nachbarn viel näher gekommen sind.“ Ob sie dafür gefühlt eine ganze Straße hätten kaufen wollen, bleibt allerdings zu bezweifeln.
Kommentar
1,75 Millionen Euro für 23 Anwohner. Ein dicker Batzen Geld für die Einzelnen. Es ist völlig unerheblich, ob in der St.-Getreu-Straße auch Menschen leben, die sich ihren Kostenanteil ohne großes Risiko leisten können. Viele dort können es nicht.
Es ist natürlich richtig: Die Stadt ist durchaus in einer Zwickmühle. Der Gesetzgeber hat nicht dafür gesorgt, dass die Kommunen für solche Fälle vernünftig vorbereitet sind. Andererseits ist das aktuelle Sanierungsthema nicht erst seit gestern bekannt und die Stadt hat nichts unternommen, um ihrerseits Vorkehrungen zu treffen. Sei mal dahin gestellt, ob sie es finanziell gekonnt hätte oder nicht. Dass die Anwohner nun teilweise wild spekulieren, warum der Ausbau, der zumindest ohne rechtliche Bedenken von der Stadt ausgesetzt oder geändert werden könnte, nun so eilig passieren muss, ist in ihrer Situation sehr verständlich. Wenn aber auch nur ansatzweise etwas an den von ihnen ins Feld geführten Gründen dran ist, muss man sich die Frage stellen, wer hier wen hinters Licht führt. Fakt ist, dass die Teerdecke der Straße eine Sanierung vertragen könnte. Fakt ist aber auch, dass die Anwohner der Straße für den Verschleiß kaum hauptverantwortlich sind.
Rechtlich spielt das alles freilich keine Rolle. Rechtlich müssen aber zukünftig in anderen Fällen die Steuerzahler für solche Sanierungen aufkommen. Dass die Wahl des Stadtrates nun auf die Brieftaschen der Bürger fiel, hat vielleicht eher etwas damit zu tun, dass der Haushaltsgürtel zwar eng geschnallt ist, man aber auf größere Hosen für den Bus- und Lieferverkehr in der St.-Getreu-Straße nicht verzichten möchte. Die Anwohner jedenfalls hätten eine stärkere Unterstützung der Stadt verdient. Ein paar Stunden in dieser Angelegenheit können nicht ausreichend sein, wenn es darum geht, dass einige Familien und Menschen im Rentenalter vor derart große finanzielle Belastungen gestellt werden, die nach einer Gesetzesänderung eigentlich – zu Recht! – Vergangenheit gewesen zu sein schienen.